Kategorie: Politik

  • „Home Office“ vs. Agile

    Exec Summary

    Das Home Office wird gerne als der wünschenswerte Zielzustand des durchdigitalisierten modernen mobilen Arbeitsplatzes gesehen.

    Im Folgenden werde ich „Home Office“ ohne Anführungszeichen schreiben, obwohl der Begriff für Native English Speakers eher mit dem Innenministerium verbunden ist.

    Die Corona-Pandemie hat bewiesen, dass erhebliche Anteile der Dienstleistungsarbeitsplätze im Home Office möglich sind.

    In diesem Text zeigen wir, dass dieser Home-Office-Arbeitsplatz agilen Kernwerten widerspricht.

    Home Office ist eben grundsätzlich von teamweise an einem Ort arbeitender Beschäftiger zu unterscheiden. Diese Form wird Verteiltes Arbeiten genannt.

    Dieser Art des Verteilten Arbeitens wird hohe Agilität und damit eine erhebliche Wertgenerierung unterstellt. Zudem erzeugt diese Form des Verteilen Arbeitens noch andere (in einem anderen Text betrachteten) Effekte:

    • Drastische Reduktion des Pendelverkehrs.
    • Reduktion des Bürobedarfs in Hochpreis-Arealen.
    • Wiederbelebung der Unterzentren.
    • Work-Life-Balance insbesondere für junge Familien.

    Arbeitshypothesen

    Individuals and Interactions over processes and tools

    https://agilemanifesto.org

    Meine Arbeitshypothesen aus Satz 1 des Agile Manifestes sind:

    • Computer sind Tools. Menschen sind Individuen.
    • Dass Menschen miteinander interagieren ist wichtiger als einen guten Jira-Workflow zu haben.
    • Seiner Kollegin wortlos etwas in den (elektronischen) Eingangskorb zu legen, ist keine Interaktion.
    • Interaktion ist Kommunikation. Computer als Interaktionspartner sind prinzipiell rückkopplungsarm, daher ist eine zweifach indirekte Interaktion (auf Senderseite und dann noch einmal auf Empfängerseite) über Computer prinzipiell der direkten Interaktion von Individuen unterlegen.

    Zusammengefasst gilt:

    Die beste Interaktion ist eine direkte Interaktion.

    Working software over comprehensive documentation

    https://agilemanifesto.org

    Meine Arbeitshypothesen aus Satz 2 des Agile Manifestes sind:

    • Umfangreiche Dokumentationen werden in isolierter Einzelarbeit erstellt.
    • Dass Software funktioniert, erkennt man am besten, indem man sie ausprobiert, testet, mit ihr interagiert.
    • Das etwas funktioniert, findet man am besten in einem Team von Fachleuten heraus, nicht, indem man das dem einzelnen (sic!) Entwickler überlässt.

    Zusammengefasst gilt:

    Funktionierende Software existiert erst dann, wenn die Funktionstüchtigkeit (jemandem, durch jemanden) gezeigt wurde.

    Customer collaboration over contract negotiation

    https://agilemanifesto.org

    Meine Arbeitshypothesen aus Satz 3 des Agile Manifestes sind:

    • Jeder Abnehmer eines Produktes/Artefaktes ist in diesem Sinne Kunde.
    • Ein Vertrag verschriftlicht Anforderungen aneinander. Vertragsverhandlungen sind Interaktionen über den Inhalt gegenseitiger Anforderungen. D.h. es wird mit einem Vertrag „über Bande“ gespielt.
    • Der direkte Austausch ist oft besser als eine ausgehandelte Verschriftlichung.

    Zusammengefasst gilt:

    Verträge liefern oft notwendige Leitplanken für gute Zusammenarbeit. Gute Zusammenarbeit geschieht aber am besten über möglichst unmittelbaren Austausch.

    Responding to change over following a plan

    https://agilemanifesto.org

    Meine Arbeitshypothesen aus Satz 4 des Agile Manifestes sind:

    • Veränderungen sind Teil der Realität.
    • Ein Plan ist ein statisches Zielmodell über die Zukunft.
    • Je schneller und je besser ich auf Veränderungen reagiere, umso besser wird mein Produkt.
    • Veränderungen bekomme ich nur mit, wenn ich permanent und schnell interagieren kann.
    • Aus Veränderungen resultieren sofort Planänderungen. Aus Planänderungen resultieren sofort Änderungen der Arbeitspakete, d.h. der Aufgaben jedes Teammitgliedes.
    • Nur die direkte Interaktion stellt sicher, dass die Betroffenen die Veränderung registriert und verstanden haben. Nur die direkte Interaktion stellt sicher, dass die betroffenen eine Planänderung registriert und verstanden haben.

    Zusammengefasst gilt:

    Auf Veränderung reagiere ich am besten schnell. Direkte Interaktion liefert die schnellste Reaktion. Planänderungen sind Veränderungen.

    Argumente gegen das Home Office

    Home Office erfüllt die Voraussetzungen für agile Zusammenarbeit aus den folgenden Gründen nur schlecht:

    • Direkte Kommunikation, d.h. Interaktion ist im Home Office prinzipiell nicht möglich.
    • Die Interaktionsqualität wird maßgeblich von den eingesetzten Werkzeugen bestimmt und nicht durch die Qualifikation der Beschäftigten.
    • Veränderung wird immer gefiltert und verzögert registriert, womit auch die Antwort auf Veränderung gefiltert und verzögert eintritt.

    Argumente für Verteiltes Arbeiten

    Verteiltes Arbeiten als Arbeiten in einem Team am gemeinsamen Ort erfüllt alle Voraussetzungen für agile Zusammenarbeit aus den folgenden Gründen perfekt:

    • Team-Interaktion ist jederzeit von Angesicht zu Angesicht möglich.
    • Die Qualität der Interaktion ist nicht mehr werkzeugabhängig.
    • Über Werkzeuge besteht immer noch die Möglichkeit der Fernkommunikation.
    • Veränderung wird sofort registriert, womit auch die Antwort auf Veränderung so schnell wie möglich eintreten kann.
    • Mit Heimarbeit auftretende arbeitsrechtliche Probleme gibt es nicht.
    • Neben diesen unmittelbaren Vorteilen für agiles Arbeiten gibt es noch viele weitere Vorteile:
      • Wegfall von Pendelzeit, wenn die Teams wohnortbezogen entwickelt und aufgestellt werden.
      • Wiederbelebung von Unterzentren.
      • Weniger Bürokosten in den hochpreisigen Oberzentren.
      • CO2-Einsparung.
      • Work-Live-Balance durch Möglichkeit, zwischendurch für Kind oder Freizeit die Arbeit zu unterbrechen.
  • Merkwürdiges rund um Tempo 30 in Innenstädten

    UBA vs. Sättigungsverkehrsstärke

    Tempo 30 wird in der Straßenverkehrsordnung als Regelfall für bestimmte Zonen ausgewiesen: https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__45.html

    Darin sieht auch man, dass die Zonen-Anorddnung explizit nicht für bestimmte Straßen ausgesprochen werden darf:

    Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken. 

    https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__45.html

    Zusätzlich hat sich in zahllosen Gruppen die Ansicht durchgesetzt, dass Tempo 30 irgendwie besser als Tempo 50 ist. Dieser Ansicht verschaffen sie aber nicht über eine Änderung des § 3 Satz (3) Geltung, sondern versuchen das scheibchenweise mittels Dehnung der Sonderregelungen des § 45 aus Satz (9) 6. Und dort finden sich auch für Bundesstraßen und für Straßen mit überörtlichem Verkehr reichlich Gründe für die Dehnung, wenn die folgenden Einrichtungen den „unmittelbaren Bereich“ betreffen:

    • Kindergärten,
    • Kindertagesstätten,
    • allgemeinbildenden Schulen,
    • Förderschulen,
    • Alten- und Pflegeheimen oder
    • Krankenhäusern

    Wohlgemerkt geht es hier nicht um eine Gefährdung, wobei „unmittelbar“ alles zwischen direkt daneben und „irgendwie nah dran“ übersetzbar ist.

    Diesen Ansatz gibt es auch beim Umweltbundesamt, dessen Präsident seit 2008 auch Mitglied der grünen Heinrich-Böll-Stiftung ist.

    Dort findet man ein Paper, das offen für Tempo 30 wirbt und behauptet, dass das auch überhaupt keinen Unterschied macht. Was gelinde gesagt etwas merkwürdig ist, weil jedes Kind weiß, dass man schnell schneller zum Ziel kommt und langsam eben langsamer.

    Die Sättigungsverkehrsstärke beträgt somit bei 50 km/h und bei 30 km/h grundsätzlich 2.000 Kfz je Stunde und Fahrstreifen.

    https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikationen/wirkungen_von_tempo_30_an_hauptstrassen.pdf

    Hier ist erst einmal festzuhalten, dass das Umweltbundesamt eine nicht übliche Definition des Begriffes Sättigungverkehrsstärke verwendet. Die TU Darmstadt sagt dazu:

    Die verbreitete Definition der Sättigungsverkehrsstärke bezieht sich auf den Fahrzeugfluss während einer (fiktiven) Grünstunde, ist also unabhängig vom Einfluss des Phasenwechsels.

    https://www.verkehr.tu-darmstadt.de/media/verkehr/fgvv/prof_boltze/HEUREKA_2011_-Boltze_Wolfermann-_Zwischenzeiten.pdf

    Und für diesen Fall gibt ein wenig Taschenrechnern darüber Auskunft, dass die Sättigungsverkehrsstärke bei „Abstand halber Tacho“ und Tempo 30 bei 1499 PKW liegt, bei Tempo 50 aber bei 1667.

    Das heißt, von Tempo 30 auf Tempo 50 steigt dieser Wert um über 11%.

    Hier die Formeln:

    Berechnung der Sättigungsverkehrsstärke

    Daraus ist ersichtlich, dass die Funktion mit v gegen unendlich stetig wachsend gegen 7.200 geht.

    Damit sollte klar sein, dass das UBA – um das einmal klar Namen zu nennen – lügt.

    Allerdings wissen wir alle, dass es so falsch doch nicht ist…

    Wenn wir dem miserablen Verkehrsfluss in deutschen Innenstädten einmal auf den Grund gehen so erkennen wir sehr schnell, dass es durchaus ein Problem gibt und dass dieses Problem nicht mit Höchstgeschwindigkeiten zu tun hat, sondern mit:

    • Der drastischen Zunahme von Ampeln,
    • der Angst vor Kreisverkehren, insbesondere in Kombination mit Straßenbahnen,
    • der fehlenden Taktung der Ampeln,
    • dem zunehmenden Verkehr,
    • dem zunehmenden Lieferverkehr mit der StVO weitgehend ablehnend eingestellten Fahrern,
    • der Mischung aus Rücksichtslosigkeit und Abgelenktheit der Verkehrsteilnehmer,
    • dem grundsätzlich eher erratischen Verhalten vieler Verkehrsteilnehmer,
    • dem Rückbau von mehrspurigen PKW-Strecken zugunsten von Fahrradwegen,
    • in Summe: Dem fehlenden Willen, Verkehrsflüsse zu maximieren, anstatt sie abzuwürgen.

    Zur Ampelzahl

    Auf der Herner Straße in Bochum, zwischen Nordring und Autobahn 43 liegen ca. 4 km Bundesstraße. Davon ist mehr als die Hälfte aus Gründen der „Luftreinhaltung“ mit Tempo 30 versehen, was einen weiteren Artikel wert ist.

    Auf diesen vier Kilometern finden sich mindestens elf Ampeln, d.h. ca. alle 360 m eine.

    Mindestens die Ampeln bei Tempo 50 (A40 bis Innenstadt, Länge: 1 km) sind in Richtung Innenstadt auf Grüne Welle bei 50 geschaltet, was aber nichts bringt, weil die Leute durch zahllose Verkehrsinseln, eine Markierung, die so in der StVO nicht vorkommt, den Rückbau auf ca. 2,5 Spuren und die vielen Ampeln so langsam fahren, dass sie es auch außerhalb der Rush-Hour praktisch niemals schaffen, die grüne Welle mitzunehmen. Daraus resultiert aber eine drastisch verminderte Durchschnittsgeschwindigkeit:

    Während man bei durchgängig Tempo 50 für den Kilometer 72 Sekunden braucht, braucht es mit einer Rotphase von 60 Sekunden bereits ohne Brems- und Beschleunigungsvorgänge 132 Sekunden, was einer mittleren Geschwindigkeit von 27 km/h entspricht.

    Bei Tempo 30 und einer Rotphase sieht der Fall übrigens so aus: Fahrtdauer netto: 120 Sekunden, mit einer Minute Rotlicht 180 Sekunden, mittlere Geschwindigkeit: 20 km/h.

    Rechnet man nun die Beschleunigungsvorgänge und die Verzögerungseffekte bei mehreren Wagen hinzu, ist der Unterschied zwischen Tempo 50 und 30 tatsächlich marginal.

    Das liegt aber nicht an der Geschwindigkeit, sondern an der Vorliebe der Verwaltung, alle paar Meter eine Ampel als heiligen Gral der Verkehrslenkung zu realisieren.