Merkwürdiges rund um Tempo 30 in Innenstädten


UBA vs. Sättigungsverkehrsstärke

Tempo 30 wird in der Straßenverkehrsordnung als Regelfall für bestimmte Zonen ausgewiesen: https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__45.html

Darin sieht auch man, dass die Zonen-Anorddnung explizit nicht für bestimmte Straßen ausgesprochen werden darf:

Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken. 

https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__45.html

Zusätzlich hat sich in zahllosen Gruppen die Ansicht durchgesetzt, dass Tempo 30 irgendwie besser als Tempo 50 ist. Dieser Ansicht verschaffen sie aber nicht über eine Änderung des § 3 Satz (3) Geltung, sondern versuchen das scheibchenweise mittels Dehnung der Sonderregelungen des § 45 aus Satz (9) 6. Und dort finden sich auch für Bundesstraßen und für Straßen mit überörtlichem Verkehr reichlich Gründe für die Dehnung, wenn die folgenden Einrichtungen den „unmittelbaren Bereich“ betreffen:

  • Kindergärten,
  • Kindertagesstätten,
  • allgemeinbildenden Schulen,
  • Förderschulen,
  • Alten- und Pflegeheimen oder
  • Krankenhäusern

Wohlgemerkt geht es hier nicht um eine Gefährdung, wobei „unmittelbar“ alles zwischen direkt daneben und „irgendwie nah dran“ übersetzbar ist.

Diesen Ansatz gibt es auch beim Umweltbundesamt, dessen Präsident seit 2008 auch Mitglied der grünen Heinrich-Böll-Stiftung ist.

Dort findet man ein Paper, das offen für Tempo 30 wirbt und behauptet, dass das auch überhaupt keinen Unterschied macht. Was gelinde gesagt etwas merkwürdig ist, weil jedes Kind weiß, dass man schnell schneller zum Ziel kommt und langsam eben langsamer.

Die Sättigungsverkehrsstärke beträgt somit bei 50 km/h und bei 30 km/h grundsätzlich 2.000 Kfz je Stunde und Fahrstreifen.

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikationen/wirkungen_von_tempo_30_an_hauptstrassen.pdf

Hier ist erst einmal festzuhalten, dass das Umweltbundesamt eine nicht übliche Definition des Begriffes Sättigungverkehrsstärke verwendet. Die TU Darmstadt sagt dazu:

Die verbreitete Definition der Sättigungsverkehrsstärke bezieht sich auf den Fahrzeugfluss während einer (fiktiven) Grünstunde, ist also unabhängig vom Einfluss des Phasenwechsels.

https://www.verkehr.tu-darmstadt.de/media/verkehr/fgvv/prof_boltze/HEUREKA_2011_-Boltze_Wolfermann-_Zwischenzeiten.pdf

Und für diesen Fall gibt ein wenig Taschenrechnern darüber Auskunft, dass die Sättigungsverkehrsstärke bei „Abstand halber Tacho“ und Tempo 30 bei 1499 PKW liegt, bei Tempo 50 aber bei 1667.

Das heißt, von Tempo 30 auf Tempo 50 steigt dieser Wert um über 11%.

Hier die Formeln:

Berechnung der Sättigungsverkehrsstärke

Daraus ist ersichtlich, dass die Funktion mit v gegen unendlich stetig wachsend gegen 7.200 geht.

Damit sollte klar sein, dass das UBA – um das einmal klar Namen zu nennen – lügt.

Allerdings wissen wir alle, dass es so falsch doch nicht ist…

Wenn wir dem miserablen Verkehrsfluss in deutschen Innenstädten einmal auf den Grund gehen so erkennen wir sehr schnell, dass es durchaus ein Problem gibt und dass dieses Problem nicht mit Höchstgeschwindigkeiten zu tun hat, sondern mit:

  • Der drastischen Zunahme von Ampeln,
  • der Angst vor Kreisverkehren, insbesondere in Kombination mit Straßenbahnen,
  • der fehlenden Taktung der Ampeln,
  • dem zunehmenden Verkehr,
  • dem zunehmenden Lieferverkehr mit der StVO weitgehend ablehnend eingestellten Fahrern,
  • der Mischung aus Rücksichtslosigkeit und Abgelenktheit der Verkehrsteilnehmer,
  • dem grundsätzlich eher erratischen Verhalten vieler Verkehrsteilnehmer,
  • dem Rückbau von mehrspurigen PKW-Strecken zugunsten von Fahrradwegen,
  • in Summe: Dem fehlenden Willen, Verkehrsflüsse zu maximieren, anstatt sie abzuwürgen.

Zur Ampelzahl

Auf der Herner Straße in Bochum, zwischen Nordring und Autobahn 43 liegen ca. 4 km Bundesstraße. Davon ist mehr als die Hälfte aus Gründen der „Luftreinhaltung“ mit Tempo 30 versehen, was einen weiteren Artikel wert ist.

Auf diesen vier Kilometern finden sich mindestens elf Ampeln, d.h. ca. alle 360 m eine.

Mindestens die Ampeln bei Tempo 50 (A40 bis Innenstadt, Länge: 1 km) sind in Richtung Innenstadt auf Grüne Welle bei 50 geschaltet, was aber nichts bringt, weil die Leute durch zahllose Verkehrsinseln, eine Markierung, die so in der StVO nicht vorkommt, den Rückbau auf ca. 2,5 Spuren und die vielen Ampeln so langsam fahren, dass sie es auch außerhalb der Rush-Hour praktisch niemals schaffen, die grüne Welle mitzunehmen. Daraus resultiert aber eine drastisch verminderte Durchschnittsgeschwindigkeit:

Während man bei durchgängig Tempo 50 für den Kilometer 72 Sekunden braucht, braucht es mit einer Rotphase von 60 Sekunden bereits ohne Brems- und Beschleunigungsvorgänge 132 Sekunden, was einer mittleren Geschwindigkeit von 27 km/h entspricht.

Bei Tempo 30 und einer Rotphase sieht der Fall übrigens so aus: Fahrtdauer netto: 120 Sekunden, mit einer Minute Rotlicht 180 Sekunden, mittlere Geschwindigkeit: 20 km/h.

Rechnet man nun die Beschleunigungsvorgänge und die Verzögerungseffekte bei mehreren Wagen hinzu, ist der Unterschied zwischen Tempo 50 und 30 tatsächlich marginal.

Das liegt aber nicht an der Geschwindigkeit, sondern an der Vorliebe der Verwaltung, alle paar Meter eine Ampel als heiligen Gral der Verkehrslenkung zu realisieren.

, ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.